Ortsregulativ für Kolonie Friedrichsschwerz

Ursula Paul/Hans—Dieter Paul

Ortsregulativ für die Colonie Friedrichsschwerz

Der preußische König Friedrich der Große erließ am 25. Dezember 1769 ein Reskript mit dem Inhalt. „daß auf der zum Amte Brachwitz gehörigen wüsten Feldmark ein neues Dorff von Zwantzig Colonisten. Familien angelegt werden soll“, 70Jahre nach der Gründung verordnete der damalige Landrat des preußischen Saalkreises, von Bassewitz, ein „Ortsregulativ für die Colonie
Friedrichsschwerz“.

Warum brauchte diese kleine Siedlung zwischen Brachwitz und Döblitz eine Regelung durch „das Königl. Hohe Ministerium des Innern und der Polizei“? Am 20. Februar 1840 unterzeichnete der Landrat diese Anweisung, um Ordnung in den Ort bringen zu können.

Pfarrer Zesch (von 1780 bis 1828 in Brachwitz tätig, Friedrichsschwerz bekam erst 1883 eine eigene kleine Kirche) schreibt im Februar 1800 über die Ansiedlung: „Das Dorf Friedrichschwerz hat 43 Häuser‘, in jedem Hause können zwey Familien wohnen. Heuer, da
ich dies schreibe. leben vom Greise bis zum jüngsten Kind 250 Menschen, auswärtig dienen noch viel Söhne und Töchter von der Colonie. Sie stehen unter dem Königl. Amte zu Brachwitz und gehören zur zweyten Inspektion des Saalkreises. Den ersten Ankömmlingen,
wurde ein Stückchen Land, von ungefähr 2 Morgen angewiesen, hierauf baueten sie ein Haus und Stall, eine kleine Scheune und legten einen Garten mit einer lebendigen Hecke umzogen an. Ein jeder Ankömmling erhielt vom Könige Bauholz, Ziegeln und andere Materialien mit eingerechnet. 60 Thlr. zur Unterstützung, und vom Königl. Amte zu Brachwitz wurden 20 Häusern 15 Morgen Acker gegeben. der ihnen aber nach einigen Jahren wieder abgenommen
werden mußte, weil sie diesen Acker in der damaligen Theuerung, in der die Einwohner Zugvieh dazukaufen, und dasselbe zu nähren, kein Vermögen hatten, nicht gehörig benutzen konnten. Sie ließen den Acker liegen, und zum Theil verwildern. Doch wurden diesen
20 Häusern 1,75 Morgen Acker auf dem sogenannten Jüdenkäfer und noch 2 sogenannte Grabekabeln gelassen Von den übrigen Häusern ist nur ein Garten, und eine kleine Kabel zu Küchengewächsen.

Funfzehen Jahre waren die neuen Einwohner von allen königlichen Abgaben befreihet; aber nunmehr geben sie dieselben, und gewisse kleine Zinsen dem königlichen Amte zu Brachwitz.“

Wie wurde die Anlegung des Ortes von den umliegenden alten Dörfern aufgenommen? Augenzeuge Zesch dazu: „Einige Einwohner in den benachbarten Dörfern sind unwillig, dass hier eine Colonie ist angelegt werden, weil man die zu ihr gehörigen, ohne Ausnahme, als
Felddiebe betrachtet . .. Man hat noch ärger geurteilt, und ohne Beweis die Colonisten in einen sehr übeln Rufgebracht, indem man von ihnen behauptet hat, und in der Ferne noch immer behauptet: „Durch Friedrichsschwerz darf kein Fremder, weder am Tage noch in der Nacht reisen, er wird von den Einwohnern angefallen, und rein ausgeplündertl‘ Aber welcher Fremde hat doch wol in Friedrichschwerz
eine Plünderung erfahren? Welcher Fremde hat Ursach gehabt. sich hierüber zu beschweren? Wenn es die Geschäfte erfordern, so reise man getrost durch Friedrichschwerz, die Einwohner werden ihn nicht anfallen, nicht plündern, nicht einmal den durchreisenden Menschen
mit Worten beleidigen.“

Die Einwohner von Friedrichsschwerz betrieben selbst keine Landwirtschaft, da ihnen der Acker fehlte. So blieb für die Männer hauptsächlich eine Tätigkeit in umliegenden Dörfern als Knecht. z. B. auf der Domäne Brachwitz oder bei Großbauern und (oder) im handwerklichen Bereich in der industrialisierten Stadt Halle, obwohl der Weg weit war an der Saale entlang, zu Fuß oder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Fahrrad. Erst später nach dem zweiten Weltkrieg konnte man mit dem Bus fahren. Die
Frauen arbeiteten ebenfalls in der Landwirtschaft der umliegenden Dörfer als Saisonkräfte bei der Ernte. Dass die Männer hauptsächlich im Handwerk beschäftigt waren, konnte man schon immer an den schmucken Häusern mit ihren gepflegten Vorgärten erkennen.

Lassen wir wieder Pfarrer Zesch aus dem 19. Jahrhundert berichten: „Aber Sind denn unsere Colonisten ganz schuldlos? entwenden sie nichts? Hierauf will ich gewissenhaft antworten: ‚Einige von den Einwohnern stehlen Getraide vom Felde, besonders Hafer= und Gersten=Garben‚ auch holen sie Kraut, Rüben und Erdtoffeln; ist der Winter hart, und können sie, wie dies oft der Fall ist, keine Stemkohlen für Geld bekommen, so stehlen sie auch Bäume.‘ Daß sie aber des Nachts an fremden Orten einbrechen sollten. ist Unwahrheit. wenigstens ist mir seit 20 jahren noch kein Beyspiel davon bekannt worden In der vor einigen jahren zu Brachwitz entstandenen Feuersbrunst, räumten die Friedrichschwerzer meine ganze Wohnung aus, ich versichere, daß ich von ihnen alles unbeschädigt und richtig wieder bekommen habe. Sie haben in mehreren Häusern Sachen gerettet. und es hat niemand nach der Rettung über sie geklagt Denn alle benachbarte Dörfer, und auch entferntere, nehmen Tagelöhner und Dienstboten aus der Colonie, und sie sind größtentheils arbeitsame und treue Leute. Ueberhaupt zeichnen sich unsere Colonisten durch ein höfliches, bescheidnes Betragen, sehr zu ihrem Vortheil gegen manche Bewohner anderer Dörfer aus. Es wohnen hier Leinweber, Schuster, Schneider, Schiffknechte, und einige von den Einwohnern setzen auf den Dörfern die leimernen Wände mit großer Geschicklichkeit, womit sie viel Geld verdienen.

Das weibliche Geschlecht geht zum Theil mit in die Ernte und zum Dreschen, zum Theil spinnen sie auch Berliner Wolle für die Fabriken, und Flachs für Fremde um einen billigen Preiß.““’

Zesch nimmt seine Pfarrkinder in Schutz: „Man hat dies Dorf auch mit dem Namen Bettelschwerz beehrt, weil so viele Kinder zum Betteln ausgehen. Wenn man aber weiß, daß die Eltern krank und
schwach sind: oder so viele Kinder haben, daß sie dieselben von ihrem verdienten Tagelohne nicht hinlänglich ernähren können, und man auch bedenken will, daß von 1,75 Morgen Land, oder bey andern von einem kleinen Garten nichts erspart, keine Armenanstalt errichtet werden, noch weniger ein Colonist den andern unterhalten kann, – dann wird man den armen Kindern das Betteln menschenfreundlich verzeihen Uebrigens hoffet man, daß es mit der hiesigen Colonie nicht schlechter. sondern von jahr zu Jahr besser werden wird: wie es denn auch jetzt schon weit ordentlicher in derselben zugehet, als var 20 Jahren. Von den allerersten Ankömmlingen sind nur noch 5 Männer und 9 Frauen. und von den Reformirten 2 Frauen übrig. Die jetzigen Bewohner kann man also die zweyte Generation nennen, von der wir erwarten, daß sie sich künftig so verhalten werde,  daß sie von den benachbarten Gemeinden könne geachtet und geliebet werden.“

Doch der fromme Wunsch des Pfarrers scheint nicht in Erfüllung gegangen zu sein. Die napoleonische Fremdherrschaft und die folgenden Hungersnöte durch Missernten, verbunden mit enormen
Preissteigerungen verschlechterten die Lebenslage auch in der Colonie Friedsrichsschwerz. Nach dem Motto „Einmal Dieb. immer Dieb“ werden auch die Friedrichsschwerzer wohl öfter für Rechtsbrüche verantwortlich gemacht, auch für solche, die man ihnen in die Schuhe schob, so dass die preußische Regierung mit dem Ortsregulativ ein-
greift. Wirtschaftliche Hilfe wäre für die Menschen besser gewesen. Die zunehmende Industrialisierung führte auch dazu, dass für in Heimarbeit hergestellte Ware die Fertigungskosten zu hoch waren und der Verdienst dadurch zu gering.

Das Ortsregulativ schränkte die Freiheiten der Bürger von Friedrichsschwerz ein. Nach der Anordnung durfte in Friedrichsschwerz niemand mehr siedeln oder wohnen, wenn er:

1. nicht einen Unbescholten- und Erwerbsfähigkeitsnachweis erbringen konnte,

2. nicht eine Zuzugserlaubnis des Landrates hatte,

3. nicht vollgültige Zeugnisse vorweisen konnte,

4. wenn er zum fahrenden Volk gehörte (z. B. Musikanten),

5. wenn er keine fünf Taler bezahlen konnte

6. wenn er zahlungsunfähige Mieter aufnahm,

7. wenn er nicht jeden Fremden, im Dorfe Übernachtenden oder Wohnenden dem Dorfschulzen meldete,

8. wenn nicht alle Erlaubnisse für den Siedler erteilt und Strafgelder von diesem bezahlt worden waren.

Die Geldstrafen, Einzugsgelder und Gebühren sollten in die Gemeindekasse fließen und für Gemeindebedürfnisse verwendet werden. Ob damit die Armut beseitigt wurde? Wohl kaum. Kurt Gorspott, der Ostern 1926 in Friedrichsschwerz eingeschult wurde, schreibt in seinen Erinnerungen: „Aus allen Ecken und Löchern glotzten uns
die Armut und das Elend an … ich möchte an meinen kleinen blauen Handwagen erinnern. Mit diesem kleinen Wagen bin ich kreuz und quer durchs Gelände gezogen und habe alles, was so einigermaßen fest und brennbar war, aufgesammelt und nach Hause gefahren, jedes Stück Holz, jeden Knorpel Kohle, den ich auf den Wegen gefunden
habe hatte ich aufgesammelt. Oftmals bekam ich vom Kaufmann, der auch Kohlebriketts verkaufte, drei oder vier Brikett geschenkt.

Wenn es Abend wurde, hat mein Papa im Küchenherd Feuer gemacht. Hei, hat das geknistert und geprasselt und es wurde in unserer kleinen Küche sehr schnell und wohlig warm. Unsere Mama hatte von ein paar Pellkartoffeln, etwas Mehl und einem Ei einen Teig gemacht und dann wurden auf der heißen Herdplatte Kartoffelplätze gebacken und wir konnten uns den Bauch endlich wieder mal so richtig vollstopfen, so daß der Magen mal nicht mehr geknurrt hatte.“

Heute ist dieser Ortsteil von Brachwitz von fleißigen, neugierigen und strebsamen Bürgerinnen und Bürgern bewohnt, die sich allerorten engagieren, niemanden mehr „bemausen“, vielen Häuslebauern Platz schaffen, die Wissenschaften ehren, an der Forschung teilnehmen — und sogar dem „Alten Fritz“ ein Denkmal errichtet haben, dem Vater preußischer Siedlungspolitik.

Auf der folgenden Seite kann man das „Ortsregulativ für die Colonie Friedrichsschwerz im Original lesen und einen kleinen Nachgeschmack preußischer „Zucht und Ordnung“ erhalten:

 

Quelle: Heimatjahrbuch Saalekreis 2008

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