Oberamtmann Carl Wentzel

HANS-DIETER PAUL

Oberamtmann Carl Wentzel — 125. Geburtstag *

lm Hauptregister des Standesamtes Brachwitz wurde am 11. Dezember 1876 unter der Nummer 68 vom Domänenpächter Friedrich Phillipp Karl Ludwig Wentzel die Geburt seines in Brachwitz am 09. Dezember 1876 geborenen Sohnes angezeigt. Die Mutter,
Margaretha Sophia Emma Wentzel geb. Becker. hatte den Jungen um vier Uhr vormittags zur Welt gebracht. Seine Vornamen K(C)arl Phillip Emil Kurt erhielt der Sohn erst am 2. Februar 1877.

Die Wentzels hatten die preußische Domäne Brachwitz seit 1811 in Pacht. @ Nach Besuch des Naumburger Domgymnasiums und Studium der Rechte und der Landwirtschaft in Lausanne übernahm Carl 1904 den Betrieb. (3)

Die Brachwitzer Schulchronik vermeidet für das jahr 1905 den Umbau des Wohngebäudes der Domäne:

‚.Der Domänenpächter Leutnant Wentzel beabsichtigt seine Braut, Tochter des Amtsrates v. Zimmermann – Salzmünde, als Gemahlin heimzuführen. Mit seinem pustenden Auto ist er in ein paar Minuten in Salzmünde.“ Im August des folgenden Jahres zog die Gemahlin in Brachwitz ein. 

Nach dem Tode seines Vaters 1907 übernahm Carl Wentzel die Leitung des Gesamtbetriebes und sein Wohnsitz wurde Teutschenthal. Mit Brachwitz blieb er jedoch durch die Domänen-
pachtung eng verbunden. Im Jahre 1923 musste das Kirchendach neu eingedeckt werden. Da das Geld dazu fehlte, lieh es Carl Wentzel. Für die Kirchengemeinde kam die Inflation zur rechten Zeit. Die Schulchronik dazu: ,.Herr Oberamtmann Wentzel konnte die zur Ausführung der Kirchen- und Küstereidachreparatur geliehene Summe mit einem Schlag zurückgezahlt werden, er war der Geschädigte, hat aber den Verlust im Interesse der Kirchgemeinde gern getragen.“ 

Überhaupt war Carl Wentzel ein sehr sozial eingestellter Mensch, der immer dort half, wo Hilfe nötig war. Zeitzeugen konnten mir das in persönlichen Gesprächen bestätigen. In Salzmünde z.B. ließ er eine Wohnsiedlung errichten.

Wentzel bewirtschaftete eine Fläche von über 36000 Morgen als Eigentum oder gepachtetes Land. Die Firma von Johann Gottfried Boltze (1780-1868) kam durch die Heirat mit Ella von Zimmermann
zum Wentzelschen Betrieb hinzu. Der landwirtschaftliche Bereich seines Unternehmens teilte sich in Pflanzen- und Tierproduktion auf. Daneben gab es Betriebe, die landwirtschaftliche Produkte weiter verarbeiteten; wie z. B. Zuckerfabriken, Zuckerraffinerien, Brennereien, Mühlen, eine Kartoffelflocken- und eine Malzfabrik. Zu dem Unternehmen gehörten aber auch Braunkohlengruben, Steinkohlenbergwerk, Kalkbrüche, Kaolin- und Tonbetrieb sowie ein Sägewerk.
Theorie und Praxis wurden verknüpft. ln Salzmünde stand die Saatzuchtanstalt, wo hervorragende Ergebnisse erzielt wurden. Enge Verbindungen hielt Wentzel auch zu Hochschuleinrichtungen. Für seine Verdienste wurde er geehrt. 

Zu den gepachteten Gütern zählte auch das Gut Schochwitz; der Familiensitz derer von Alvensleben. Ludolf – genannt Bubi — von Alvensleben, SS-Gruppenführer, gehörte zur Führungsriege um Himmler, welcher auch der Patenonkel von Alvenslebens Sohn war. Der SS-Mann war bestrebt, dieses Gut wieder in den Familienbesitz zurückzuführen. Reichsführer Himmler unterstützte das Ansinnen. Dadurch kam Carl Wentzel in die Schusslinie der Nationalsozialisten. (9)

Wentzel war bekannt mit dem ehemaligen Oberbürgermeister von
Leipzig. Dr. Goerdeler. Dieser gehörte zum Reusch-Kreis, einer Widerstandsgruppe. Mitglieder dieses Kreises und Goerdeler trafen sich u.a. auch in Teutschenthal. Nach Stauffenbergs Attentat auf Hitler am 20. 1944 wurde auch Wentzel verhaftet. Am 13. November 1944 stand Carl Wentzel vor dem Volksgerichtshof.

Unter dem Vorsitz seines Präsidenten Roland Freisler‚ eines fanatischen nationalsozialistischen Blutrichters, hatte Wentzel keine Chance. Gegen 17.00 Uhr fiel das Urteil: Todesstrafe, das Vermögen verfällt dem Reich. Ein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Der Oberamtmann Carl Wentzel starb am 20. Dezember 1944 in der Richtstätte der Strafanstalt Berlin-Plötzensee, elf Tage nach seinem
68. Geburtstag. (9) Erst nach dem Ende des Krieges war es der Familie möglich, den Tod öffentlich anzuzeigen. Am 19. Juli 1945 erschien die Todesanzeige. (1°)

Prof. Hubert Olbrich gibt in seiner umfassenden Darstellung „Carl
Wentzel – Teutschenthal (1876-1944)“ folgende Würdigung Carl Wentzels: „Zu diesen Menschen (die nicht den Verlockungen des Nationalsozialismus verfielen – der Vf.) zählt Carl Wentzel aus
Teutschenthal im Mansfelder Seekreis, ein einfacher, bescheidener, zu jedermann verbindlicher Mensch von bestechender Liebenswürdigkeit, der ein hochkarätiger Großunternehmer war und den wirtschaftlichen Erfolg seines erfüllten Lebens immer zu verbinden wußte mit dem Dienst am Menschen, sei es durch großzügige soziale Einrichtungen in seinen eigenen Unternehmungen, sei es durch Mitarbeit in nationalen und internationalen Verbänden und Vereinigungen. In denen er in uneigennütziger Weise seine Schaffenskraft zum Wohle der Allgemeinheit zur Verfügung stellte. *11


Durch die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone 1945
wurde der Wentzelsche Besitz wiederum enteignet. Nach der Einheit Deutschlands 1990 konnten die Enkel von Carl Wentzel das Erbe ihres Großvaters weiterführen.

Anlässlich des 125. Geburtstages wurde an der ehemaligen Domäne in Brachwitz eine Gedenktafel enthüllt. Sie enthält folgende lnschrift:

Oberamtmann
Carl Wentzel

* 9.12.1876 + 20.12.1944
In diesem Hause wurde Oberamtmann Carl Wentzel geboren.
Beteiligt am Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er
verhaftet, gefoltert und am 20. Dezember 1944 von den
Nationalsozialisten in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Seine letzten Worte vor dem Tode lauteten:
Ich gehe unschuldig. aufrecht und in Liebe zu meiner
Familie in den Tod.

Anmerkungen

*Diese Darstellung soll auf eine Persönlichkeit unserer Region aufmerksam machen. Es ist nicht beabsichtigt eine ausführliche Biografie vorzulegen. Die in den Anmerkungen genannte Literatur gibt ein umfangreiches Quellenmaterial zu Carl
Wentzel wieder. Hervorzuheben ist dabei die Arbeit von Prof. Olbrich, der auf
308 Seiten eine umfassende Würdigung der Leistungen und des Menschen Carl
Wentzel gibt

1 Das Hauptregister des Standesamtes Brachwitz liegt im Standesamt der
Verwaltungsgemeinschaft Wettin.

2 Vgl. Dr. Siegmar Baron von Schultze—Galléra: Das Amt bezw. Domäne Brachwitz
II. in: Heideßote Halle (Saale). 24. August 1933, Nummer 34, Jahrgang 7.

3 Vgl. Dr. Walter Müller: Carl Wentzel – Opfer im Widerstand. in: Sonntagsnachrichten (Halle/Saalkreis), 9.12.2001.

4 Schulchronik Brachwitz. ln: Schriften des Ortsmuseums Brachwitz (Saalkreis),
1996.

5 Ebenda.

6 Vgl. Hubert Olbrich: Carl Wentzel -Teutschenthal (1876-1944). In: Schriften aus dem Zuckermuseum, Heft 14, Berlin 1981.

7 Vgl. ebenda.
8 Vgl. ebenda.

9 Vgl. ebenda.

10 Vgl. Amtliche Mitteilungen der Behörden der Stadt Halle (Saale) und des Saalkreises. Halle (Saale) 19.7.1945.

11 Olbrich, S. 22.

 

Quelle: Heimatjahrbuch Saalekreis 2002

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