Die Fähre Brachwitz

Der Saaleübergang in Brachwitz

Ein Bericht von Hans Dieter Paul, erschienen im Heimat Jahrbuch 1995.

Flüsse bilden seit Menschengedenken ein natürliches Hindernis, eine Grenze. Die Überwindung dieser Hindernisse war oft sehr beschwerlich. Auch heute noch sind Flüsse für den rollenden Verkehr ein Hemmnis. Durch das Eingreifen des Menschen ist auch unsere Saale schmaler geworden. Der Flußverlauf wurde begradigt, die Nebenarme und Inseln verschwanden. Im Bereich des Flußüberganges in Brachwitz ist die Saale heute etwa 85 Meter breit.

Fähre Brachwitz

Letzte Fahrt der Fähre Brachwitz — Im Hintergrund die Pontonbrücke

Seit Menschengedenken gibt es auch Versuche, diese Flüsse zu überwinden, sei es, um mit den Menschen auf der anderen Uferseite Handel zu treiben, oder auch, um die Gebiete jenseits zu erobern.

ln urgeschichtlicher Zeit gab es um Brachwitz herum schon eine Besiedlung, die Slawen kamen Jahrhunderte später und bauten einen Burgwall. Ein fränkisches Kastell lag auf der anderen Seite der Saale (Lettin) wohl in Rufweite. So ist es ganz natürlich, es einen „regen“ Verkehr über den Fluß wohl gegeben hat. 1297 wurde Brachwitz als Brachwiz erstmals urkundlich erwähnt. Wann nun das erste Mal eine ständige Fährverbindung über die Saale aufgenommen wurde, wird wahrscheinlich für immer ein Geheimnis bleiben. Es hat sie aber gegeben, diese Verbindung.

So berichtet die Brachwitzer Pfarrerchronik von 1820: „Zu Michaelis (29. September) kam die neue Fähre in Brachwitz an. Holz und Kohle können frei überfahren werden. Vorher wollten die Fährleute von Wettin und Giebichenstein nicht dulden, daß Kohlen überfahren wurden.“ (Heide Bote, Nr. 42, 10.10.1933) Jahrzehnte später wurde aus den Kaolingruben zwischen Morl und Brachwitz mit Pferdefuhrwerken Kaolin über die Fähre nach Dölau bzw. Salzmünde in die Schlämmerei gebracht. Um 1900 war der Domänenpächter Carl Wentzel Eigentümer dieser Gierfähre. Die Fährleute hatten eine besondere schwere Arbeit zu verrichten, wenn Hochwasser war oder ein starker Wind wehte. Jahre später, 1919, sind die Fährleute Eigentümer dieser alten Gierfähre geworden, seit den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts übten diese schwere Tätigkeit Männer aus der Familie Saalbach aus. Die Reparaturkosten für diese alte Fähre wurden jedoch immer höher. Auch für den zunehmenden Autoverkehr erwies sie sich nicht mehr als geeignet.

Neben der Fähre gab es noch einen Fährkahn, welcher mit Ruder und Staken bedient wurde, für den Personenverkehr. Auch die Fähre mußte wie der Fährkahn an einem Seil hängend mit Staken zur anderen Seite gebracht werden.

Die Gemeinde suchte nach einer Lösung. Der Lehrer Walter Lemme hat in der Schulchronik die Lösung für die Nachwelt aufgeschrieben: „Im Jahre 1929 hat die Gemeinde mit Unterstützung des Kreises und der Provinz ein großes Werk durchgeführt, den Brückenbau. Als im Jahre 1928 durch Bau einer festen Brücke die Schiffbrücke in Mukrena frei geworden war (sie diente als Übergang Alsleben—Mukrena d.V.)‚ kaufte die Gemeinde Brachwitz diese für 13 500 RM. Nachdem Kreis und Provinz ihre Unterstützung zugesagt hatten und die behördliche Genehmigung eingegangen war, begannen nach Ostern die Aufbauarbeiten in Brachwitz. Durch Bau von Anfahrrampen, Verarbeitung neuer Balkenlager‚ Aufbesserung der Pontons und Einrichtung einer elektrischen Aus- und Einfahrt (im Gegensatz zu Mukrena d.V.) erhöhten sich die Kosten des Brückenhauses auf 70000 RM. Am 13. Juli konnte die Brücke dann nach Abnahme durch die Vertreter der Behörden eingeweiht werden. Die Brücke war an diesem Tage reich mit Flaggen und Girlanden geschmückt. Endlich war Brachwitz aus seiner Abgeschlossenheit heraus. Die Brücke wurde erstmalig für den Preis von 8400 RM an den Schiffer Willig-Wettin für die Zeit vom 13. Juli 1929 bis 31. März 1930 verpachtet.”

Um die Pacht hatten sich sechs Interessenten beworben, drei kamen aus Wettin, einer aus Diemitz und aus dem Ort selbst Friedrich Saalbach. In den Unterlagen der Gemeinde ist jedoch die Pachtsumme mit 7000 RM angegeben.

An dem 13. Juli 1929, dem Einweihungstag, es war ein Sonnabend, war die Benutzung der Pontonbrücke kostenlos. Ein Brückenbuch gibt Zahlen für die Benutzung der Brücke am folgendem Tag, dem Sonntag, wieder: 2 leichte Fuhrwerke, 1 Handwagen, 165 Fahrräder, 36 Zweisitzer-PKW, 75 Viersitzer-PKW, 110 Motorräder mit Sozius, 14 Motorräder ohne Sozius und schätzungsweise 1 500 Personen. Viele Menschen benutzten diesen Sonntag bestimmt zum Ausflug nach Dölau, in die Dölauer Heide oder in das bekannte Bad Neuragoczy.

Die Brücke bestand aus Pontons, über die Bohlen gelegt waren. Um den Schiffsverkehr zu gewährleisten, konnten einige Pontons im Bereich der Fahrrinne herausgefahren werden. Ebenfalls konnte die Brücke bei Hochwasser an das Ufer gebracht werden. Die Benutzer der Brücke mußten eine Gebühr bezahlen.

Mit der Errichtung dieser Brücke wurde ein wichtiges Verkehrshindernis beseitigt. Besonders für das naheliegende Bad Neuragoczy mit seinen Ruderregatten und anderen Vergnügungen war diese Brücke von großer Bedeutung.
Am 8. März 1930 wurde die Brücke neu verpachtet, den Zuschlag erhielt dieses Mal der Brachwitzer Bürger Friedrich Saalbach. Die jährliche Pachtsumme belief sich jetzt auf 10200 RM. Die Brücke blieb in der Folgezeit beim Pächter Saalbach.
Der zweite Weltkrieg brachte auch für den Ort Brachwitz einen großen materiellen Verlust. Am 13. April 1945 sprengte der Volkssturm beim Heranmarsch amerikanischer Truppen sinnlos die Brücke und zerstörte sie völlig. Ebenso sinnlos verloren 9 Volkssturmmänner ihr Leben. Die Brücke, 19/27 des Wertes gehörten der Gemeinde und 8/27 dem Saalkreis, hatte nach dem Antrag der Gemeinde auf Entschädigung für einen durch Kriegseinwirkungen entstandenen Schaden einen Wert von über 58000 RM. Viel schlimmer aber war, daß die Verbindung zum anderen Ufer zerstört war. Eine Lösung mußte wiederum gefunden werden.

Am 10. Juni 1945 bereits fand in Brachwitz ein Ortstermin wegen der Wiederherstellung der Schiffsbrücke bzw. Schaffung einer Fähre statt. Daran nahmen teil: Dipl.-Ing. Enger vom Landesbauamt, Dipl.—ing. Strauch von der Firma Dyckerhoff & Widmann, Kreisbaurat Besecke, Bürgermeister Hering, Brückenpächter Saalbach, Ing. Vopel von der Firma Grieseler in Mukrena.

Zu diesem Zeitpunkt gab es eine behelfsmäßige Fähre aus zwei Schuten. Der Fährbetrieb war jedoch sehr mühsam, da die Schuten hoch aus dem Wasser ragten und dem Wind einegroße Angriffsfläche boten.

Folgendes Ergebnis wurde an diesem 16. Juni erreicht: „Wenn wegen der hohen Kosten und wegen der vorhandenen Materialbeschaffungsschwierigkeiten eine Schiffsbrücke nicht gebaut werden kann, so wird es sich empfehlen, anstelle der behelfsmäßigen jetzigen Fähre sobald als möglich eine ordnungsgemäße Einheitsflußfähre zu schaffen. Die Einheitsflußfähre könnte sofort von der Firma Grieseler in Mukrena in
Angriff genommen werden. Die Kosten betragen 16000 RM für die betriebsfertige Anlage.“ (Protokoll vom 20. 6. 1945)

In einem Schreiben der Firma Grieseler vom 21. August 1945 heißt es, daß die eiserne Gierfähre (ungefährer Fertigpreis ca. 18000 RM) bereits in Bau sei und baldigst fertiggestellt sein wird.

Die Amtlichen Mitteilungen der Stadtvemaltung Halle (Saale) teilten am 19. Januar 1946 mit: „Die Fähre über die Saale bei Brachwitz ist ab 16. Januar auf etwa eine Woche gesperrt.“ In dieser Zeit muß die neue Fähre in Betrieb genommen worden sein. Damit war die Isolierung des Ortes vorbei. Diese Fähre, etwa 18 Meter lang und 6 Meter breit, hatte eine Tragfähigkeit von 28 Tonnen. Der Gesamtpreis der Fähre betrug dann 20020 RM.

Im Winter 1946/47 konnte auf die Fähre verzichtet werden, da die Saale so stark zugefroren war, daß Fuhrwerke sie auf dem Eiswege überqueren konnten.

Bis 1961 wurde die Fähre durch Staken der Fährleute und die Strömung des Flusses zum anderen Ufer gebracht. Dann übernahm ein Dieselmotor die schwere Arbeit. Auch der Fährkahn wurde bis 1970 am Fahrseil mit der Hand gezogen. Ein kleiner Motor löste dann die Handarbeit ab. Später wurde dann nur noch mit der Fähre gefahren.

Die Pachtung der Fähre hatte wieder Friedrich Saalbach übernommen. Sein Sohn Fritz stand ihm zur Seite. Beide Saalbachs waren weit über den Saalkreis hinaus bekannt. Nach dem Tod von Friedrich Saalbach in den siebziger Jahren
ging die Fähre wieder in die Hände der Gemeinde zurück.

Fährmann Fritz Saalbach im August 1985

Sein Sohn Fritz blieb der Fähre als Fährmann jedoch treu. Über 40 Jahre war er der Brachwitzer Fähre und der Saale verbunden. Mit seinem Tode 1987 ging auch eine über 100jährige Familientradition zu Ende.

Die Fähre war damals das billigste Verkehrsmittel. Eine Fahrt zum anderen Ufer kostete für eine Person, einen Hund oder eine Ziege nur fünf Pfennige.

Aber der Zahn der Zeit hatte an der Fähre genagt. Sie war altersschwach geworden. Über 40 Jahre tat sie ihren Dienst. lm Januar 1990 kam dann die neue Fähre. Ihr stattlicher Preis betrug 1 Million DDR-Mark. Knapp 2/3 der Summe wurde noch mit DDR—Geld bezahlt. Für die Kosten brauchte die Gemeinde jedoch nicht aufzukommen.

Seit 1994 ist die Fähre an die Firma Schuster verpachtet. Die Fähre tut brav ihren Dienst, ja, wenn da nicht mal das Hochwasser wäre oder ein LKW über die Fähre hinaus in die Saale rollt (so geschehen Anfang Dezember 1994, als ein mit Spreewaldgurken beladener LKW in die Fluten versank). Machen Sie doch einmal wieder einen Ausflug in die Brachwitzer Alpen und eine Fahrt mit der Brachwitzer Fähre über die Saale.

Wir laden Sie ein.

 

 

Quelle: Hans Dieter Paul, Heimat Jahrbuch Saalekreis 1995

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